Radio Blyscawica, Untergrundsender aus Warschau 1944


Der Warschauer Aufstand

Ein Augenzeuge erinnert sich

Der Warschauer AufstandzoomMich faszinierte nicht nur die neue Aufgabe sondern vor allem der Gedanke, dass die Aufständischen eine eigene Radiostation errichten wollten. Von allem Anfang an ging es zwar darum, mit allen Mitteln zu verhindern, dass der Aufstand eine von der Welt unbemerkte Episode blieb, doch illustriert die Geschichte von „Radio Blitz“ beispielhaft, dass sich die Dinge nie entwickeln wie geplant:
Seit zwei Jahren hatte Kowalik mit seiner üblichen Energie und dem Blick furs Detail eine groß angelegte Propagandakampagne vorbereitet, die den Aufstand begleiten sollte. Der Plan sah ein Filmteam und Fotografen vor, ein öffentliches Lautsprechersystem und eine Zeitung, Plakate, Lieder und ein Theater, aber eben auch eine Rundfunkstation, die über die leistungsstarken Vorkriegs-Sender in Raszyn und Mokotow zu empfangen sein sollte. Die Nachrichtengruppe hatte den Auftrag, einen Kurzwellensender und alle anderen technischen Einrichtungen beizustellen. Ganze Archive an Manuskripten, Gedichten, Schallplatten hatte man bereits angelegt, ein Team von Reportern, Ansagern, Journalisten, Chronisten und Dichtern war aufgeboten worden. Man hatte sogar eigens Lieder über den Aufstand getextet und komponiert und heimlich in einem Gymnasium aufgezeichnet. Alles war wie geplant bereit, aber als der Aufstand ausbrach, gelang es nicht Raszyn oder Mokotow einzunehmen. Schlimmer noch: auch das Gebäude des Polytechnikums, in dem die gesamte Rundfunkeinrichtung versteckt war, konnte erobert werden.
Zum Glück hatte Kowalik zur Sicherheit einen zweiten Kurzwellensender in Czestochowa (Tschenstochau) vorgesehen, und zwei Wochen vor dem Aufstand gelang Leszek das Husarenstück, den in seine Einzelteile zerlegten Sender in mehreren Koffern mit der Bahn nach Warschau zu schmuggeln. Der Weitertransport dieser Koffer von einem Versteck unweit des Hauptbahnhofs war noch schwieriger und gefährlicher, denn mittlerweile waren die Kämpfe voll ausgebrochen. Die Koffer mussten ja zunächst aus dem Versteck geholt und an ihren Bestimmungsort gebracht werden – durch Straßen, die unter ständigem Beschuss standen. Zu nächtlicher Stunde schleppten die zur Sicherheit der Propagandagruppe abgestellten Männer das kostbare Gut über die Barrikaden und durch den Feuerhagel.
Unglücklicher Weise waren die Geräte aber durch Feuchtigkeit beschädigt worden und funktionierten nicht mehr. Eine Technikergruppe arbeitete fieberhaft Tag und Nacht an der Reparatur. Jeder Bauteil musste getrocknet und wieder installiert werden. Das dauerte eine ganze Woche! Aber am 7. August ließen uns die Techniker wissen, dass der Sender betriebsbereit sei, und am Morgen des 8. August verfasste ich mein erstes Manuskript, allerdings nicht allein, dazu reichten meine Englischkenntisse nicht. Daher wurde mir ein aus London gebürtiger Pole zugeteilt, Adam Truszkowski. Er sprach ein akzentfreies Englisch – nur sein Polnisch hatte einen englischen Einschlag. Unsere Zusammenarbeit funktionierte so: Ich saß auf der einen Seite des Tisches und kritzelte meinen Text auf Polnisch. War eine Seite fertig, schob ich sie über die Tischplatte zu Adam hinüber, der – die unvermeidliche Zigarette im Mundwinkel – die englische Fassung in die Schreibmaschine tippte.
Kurz nach zehn Uhr Vormittag ertönte zum ersten Mal unser Stationskenner, die ersten Takte der Varsovienne, und dann die Ansage in Polnisch: „Hallo, hallo, hier ist Blyskawica, der Rundfunksender der Heimatarmee in Warschau. Wir senden auf Kurzwelle 32.8 und 52.1 Meter und auf Mittelwelle 224 oder 251 Meter." Die erste englische Sendung folgte am Nachmittag um 14 Uhr 30. Ihr Inhalt glich dem polnischen Programm – Nachrichten und und mein erster Kommentar. Diesen Text las ich noch selbst; ich hatte mit Adam tüchtig an meiner Aussprache gefeilt. Aber zum Nutzen und Vorteil der Hörer las dann Adam alle folgenden Kommentare und amtierte suf diese Weise als Übersetzer und Sprecher.
Über Radiotelegramm hatten wir London vom Sendebeginn benachrichtigt. Zwar war „Radio Blitz“ mit seinen 100 Watt Sendeleistung im Vergleich zu den meisten Radiosendern nur ein Bienensummen, aber wir hofften, dass die auf letztem technischen Stand befindliche Monitor-Station der BBC unsere Signale aufnehmen würden. Die ganze Nacht und während der folgenden Tage lauschten wir vergeblich den Sendungen aus London, aber nie kam ein Echo. Zutiefst enttäuscht saßen wir vor dem Mikrofon. Und schließlich kam aus London ein Militär-Telegramm, das unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigte: „Radio Blitz“ war in London nicht zu hören.
In Warschau und seinen Vororten hingegen konnten die wenigen Menschen, die ein illegales Radio besaßen, mit unseren englischen Sendungen nichts anfangen und waren auf die polnische Ausgabe angewiesen, Trotzdem setzten Adam und ich unsere nutzlose Routine fort: wir schrieben, übersetzten und verlasen unsere Texte in vollem Bewusstsein, dass wir sozusagen zu nackten Mauern predigten, weil keiner unserer Hörer unsere Worte verstehen konnte. Aber während wir so ins Nichts sendeten, eröffnete sich uns plötzlich und unerwartet eine neue Möglichkeit, die Nachrichten vom Warschauer Aufstand an den britischen Rundfunk und die Presse zu übermitteln. Es muss um den 11. August gewesen sein, da suchte mich ein junger Britie auf. In fließendem, wenngleich fehlerhaften und mit einem schweren Akzenz behafteten Polnisch stellte er sich als Fliegeroffizier John Ward von der Royal Air Force vor. Er trug allerdings die Armbinde der Heimatarmee und die Insignien des polnischen Adlers auf der Mütze. Er war vor zwei Jahren von den Deutschen abgeschossen und in einem Gefangenenlager bei Poznan interniert worden, hatte aber fliehen können. Gleich ihm hatten sich auch einige weitere deutsche Kriegsgefangene nach gelungener Flucht nach Warschau durchgeschlagen und der Heimatarmee angeschlossen.
Während der ersten Woche des Aufstands hatte Ward in der Warschauer Innenstadt ein couragiertes Ehepaar kennen gelernt, die Korbonskis, die seit vielen Jahren als Funkamateure eine Kurzwellenstation betrieben und nun aus ihrer Wohnung Nachrichten in Morse-Code nach London übermittelten. Korbonski hatte die Idee gehabt, dass Ward ihm die Depeschen in Englisch bringen solle, und er würde sie nach London morsen. Auf diese Weise hatte bereits am 7. August der erste Bericht eines britischen Kriegsberichterstatters aus Warschau London erreicht. Nun hatte Ward mit uns Kontakt aufgenommen, weil wir einen besseren Zugang zu den aktuellen Informationen hatten.
Als Flieger war Ward natürlich besonders an Nachrichten über den Abwurf von Waffen und Munition interessiert. Er war tapfer, lebhaft, sehr von sich überzeugt und ein wenig arrogant. Mit Monter, zu dem ich ihn sofort gebracht hatte, zerstritt er sich zwar gleich, aber wichtiger war ja sein großes Engagement und sein voller Einsatz für die Ziele des Aufstands. Ich empfahl ihm, seine Depeschen nicht ins Ungewisse zu senden, sondern sie an wichtige britische Persönlichkeiten zu addressieren. Ward kannte niemanden, also schlug ich ihm einige Namen vor: Sir Archibald Sinclair, Oberst Perkins und den Leiter der Abteilung für Kriegsgefangene im War Office. Da ich wusste, wie argwöhnisch und misstrauisch die Briten waren, wenn es um Nachrichten aus angeblich polnischer Quelle ging, nahm ich an, dass man an der Authentizität dieses Engländers zweifeln würde. Ich empfahl Ward daher dringend, bei seiner nächsten Übermittlung seinen vollen Namen und Rang und seine letzte Einheit angeben solle, damit London ihn identifzieren könne. Und weil Ward immer noch fürchtete, nicht wirklich bis zu den wichtigen Persönlichkeiten vorzudringen, ließ ich über militärische Kanäle ein Radiogramm senden, das Ward bei Oberst Perkins einführen sollte. Man musste Wards nichts zweimal sagen. Einmal überzeugt, war er auf der Stelle zur Zusammenarbeit bereit.
Anderentags erfuhr ich, dass in der Nacht vom 13. auf den 14. August ein bedeutender britischer Abwurf von Waffen geplant war. Es wurde angeordnet, an bestimmten Plätzen und Hausdächern Signallichter vorzubereiten, und die Bergungsmannschaft für die Kanister wurde bestimmt. Unverzüglich lief ich los, überquerte ungehindert die Jerozolimskie-Straße und suchte die Korbonskis auf. Dieses perfekt aufeinander eingespielte Paar hatte ungeheuren Mut bewiesen und war nur dank ihres unwahrscheinlichen Glücks aus den gefährlichsten Situationen heil davongekommen. Sie brachten mich zu Ward, und ich führte ihn in jenen Stadtteil Warschaus, über den der Abwurf erwartet wurde. Es war wichtig, dass er die gesamte Operation mit eigenen Augen verfolgen und seine Beobachtungen nach London weitergeben konnte.
Wir lagen auf dem Dach eines sechsgeschoßigen Hauses in der Moniuszko-Straße, in dem sich vor dem Krieg “Adria” befunden hatte, der mondänste Nachtklub der Stadt, und warteren auf die Abwürfe.Der Nachthimmel war von Bränden erlhellt, die überall in der Stadt loderten. Plötzlich begann die Flak zu feuern, und Scheinwerferstrahlen stachen ins Dunkel. Unterdessen hatten unsere Leute auf einem freien Platz kleine Feuer entzündet, die ein Dreieck markierten. Aus der Ferne hörte man das Brummen herannahender Flugzeuge. „Halifaxes!“ rief Ward. “Ich erkenne sie am Motorengeräusch.“ Sie flogen tief über der Stadt. Gegen den purpurfarbenen Himmel sahen die Bomber wie riesige schwarze Vögel aus. Es war ein gespenstischer Anblick, als duckten sich die Maschinen vor den Suchfingern der Scheinwerfer an den Boden. Eines der Flugzeuge, mit polnischen Insignien am Rumpf und auf den Flügeln, donnerte mit ohrenbetäubendem Lärm über unsere Köpfe und spuckte schwarze, längliche Bündel aus, die auf den Dächern und auf dem nahen Napoleon-Platz landeten. Für einen Augenblicken fürchteten wir schon, die Maschine könne am Prudential-Gebäude zerschellen. Ich sah sie aber weiterfliegen und betete für das Wohlergehen jener Menschen dort droben, mit denen ich mich noch vor wenigen Wochen auf dem Flugfeld von Brindisi unterhalten hatte. Das Flugzeug verschwand in das Dunkel, und dann, plötzlich… Ich musste haltlos weinen, als wir die Explosion hörten, draußen, schon außerhalb der Stadt. In dem blitzartigen Aufleuchten nach dem Einschlag der Treffer konnten wir sehen, wie Teile des Rumpfes und der Flügel in alle Richtungen davon stoben. Dieses tragische Schauspiel wiederholte sich unmittelbar darauf noch zwei oder drei Mal.
Ward kommentierte die ganze Zeit das Geschehen mit den nüchternen Worten des Experten. Er zählte fünfzehn Suchscheinwerfer und mehrere Flak-Batterien. Seiner Schätzung nach waren mehr als zwanzig Maschinen im Einsatz gewesen. Die Deutschen, vermutete er, seien sehr gut auf den Empfang der feindlichen Flugzeuge vorbereitet gewesen, aber die Piloten hatten richtig gehandelt und waren unter der Reichweite der Geschütze durchgekommen. Die dennoch eingetretenen Verluste seien in Anbetracht der enormen Abwehr gering gewesen. Die große Frage sei viel mehr, auf wie viele deutsche Abfangjäger die Bomber beim Rückflug stoßen würden. „Und keine Unterstützung, kein Feuerschutz von der sowjetischen Luftwaffe!“ rief er zornig. „Dabei haben sie im Umkreis von vielleicht fünfzehn Flugminuten bestimmt mehrere Flugplätze rund um die Stadt!“ – „Nehmen Sie das in Ihren Bericht auf!“ schlug ich vor. – „Nicht notwendig“, erwiderte er. „Jede Besatzung wird nach der Landung befragt und wird dies berichten.“
Am folgenden Tag besserte sich schlagartig die Stimmung in Warschau. Unsere Photographen hatten Bilder von den Soldaten beim Öffnen der abgeworfenen Kanister angefertigt. Einige Behälter waren in deutsche Hände gefallen, aber die meisten hatten unsere Leute von den Dächern, aus den Höfen und von den Plätzen geholt. Die Moral der Stadtbewohner war erkennbar gestärkt.
Ich selbst vermochte diesen Stimmungsumschwung nicht zu teilen. Ich hörte jeden Abend den Londonder Rundfunk und wußte, dass es Mikolajczyk nicht gelungen war, auch nur das Geringste in Moskau zu erreichen. Kaum war er nach London abgereist, drehte sich die Propaganda der Sowjets schlagartig um 180 Grad. Bisher hatten sie, sogar noch nach dem Beginn unseres Aufstands, die Heimatarmee der Untätigkeit, ja sogar der Kollaboration mit den Deutschen bezichtigt. Jetzt aber wurde der Aufstand als krimineller Akt bezeichnet, und die Verantwortlichen, hieß es, müssten dafür vor Gericht gebracht werden. Die Kommuniques beider Seiten wurden von Monters Stab gründlich analysiert, und man vermutete, dass die Russen vor Prag zwar einen Rückschlag erlitten haben mochten, aber bald wieder vorrücken würden. Dass sie südlich von Warschau am linken Ufer der Weichsel einen Brückenkopf errichtet hatten, wurde als gutes Omen gedeutet. Von dort konnten sie jeden Tag angreifen und die Stadt einkesseln. Von der Propaganda hatte sich der Stab bei dieser Einschätzung nicht beirren lassen: Die militärische Vernunft würde sich durchsetzen – Warschau und Polen lagen ja direkt auf der Route nach Deutschland und Berlin.
Und dennoch meldeten sich im Oberkokommando und bei Monters Stab auch besorgte Stimmen zum Wort. Es war schwer zu verstehen, warum britische Bomber zu so ausgedehnte Flüge über feindliches Gebiet gezwungen waren und schwere Verluste in Kauf nehmen mussten, wenn doch sowjetische Kampfflugzeuge aus der unmittelbaren Nachbarschaft Warschaus starten konnten. Und warum unternahmen die Sowjets nichts gegen die neun Stukas, die systematisch und ungestört Tag für Tag die Stadt attackierten. Auch wäre es den Russen möglich gewesen, die deutschen Batterien zum Schweigen zu bringen, die Warschau in Schutt und Asche bombten…
Am 15. August kam es zu einem Ereignis, das uns für den Augenblick aller Zweifel und Sorgen enthob: Zum ersten Mal kam aus London die Bestätigung, dass „Radio Blitz“ empfangen werden konnte; mehr noch: alles Wesentliche aus unsere Morgensendung wurde zitiert. Wir waren überglücklich! Nach zwei Wochen mühsamen Experimentierens hatten unsere Techniker endlich Erfolg gehabt, und unsere Journalisten, Autoren und Sprecher wussten, dass sie nicht länger ins Nichts sprachen. Von diesem Tag an saßen wir alle am Abend vor dem Radio und lauschten unseren eigenen Worten, die wir am Morgen in den Äther gesandt hatten.

[© 1982, Wayne State University Press, Detroit, Michigan. Alle Rechte, auch der teilwweisen Veröffentlichung, vorbehalten.]


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