Geschichte des Amateurfunks in der SBZ/DDR


2.5 Ergebnislosigkeit und Kontrollanspruch

Trotz des im Vergleich zu anderen Staaten geringeren Anwachsens des Amateurfunks in der DDR (gemeint war wohl die Bundesrepublik) hatten die Funkkontakte allgemein eine Anzahl angenommen, deren Überwachung und Auswertung das MfS auch unter Zuhilfenahme der staatlichen Stellen stets im Nachhinein auf besondere Ereignisse reagieren ließ. Überhaupt lief das MfS „den objektiven Entwicklungserscheinungen“ im Amateurfunk hinterher. An anderer Stelle bezeichnete der Verfasser sogar den damaligen Anspruch einer vollständigen Kontrolle als „irreal“, was ihn jedoch nicht davon abhielt, weitere Überwachungsmaßnahmen zu fordern. Leicht modifiziert sollten diese allerdings eine Schwerpunktsetzung auf „Entwicklungen“ und Tendenzen im Amateurfunkbereich erfahren. Die eigene Abteilung III sei es gewesen, die bei der Auswertung der in Zusammenarbeit mit anderen Linien des MfS durchgeführten „gezielten und ständigen Kontrolle der Aussendungen im Funkverkehr der Funkamateure“ festgestellt habe, dass es den Funkamateuren um einen „Anknüpfungs- bzw. Ausgangspunkt für die Befriedigung persönlicher Bedürfnisse“ ging. Banaler kann vermutlich ein Erkenntnisgewinn nicht sein. Immerhin kam hier der Freizeitcharakter des Amateurfunkwesens auch beim MfS zur Geltung. Den Zustand des DDR-Amateurfunks bezeichnete der Verfasser als personell wie technisch „zurückgeblieben“, was auf die schlechte Versorgung in der DDR zurückzuführen sei, von ihm etwas beschönigend als „erreichten Wirkungsgrad des elektrotechnischen/elektronischen Bereichs der DDRWirtschaft“ umschrieben. Dadurch seien die Amateurfunkgespräche inhaltlich durch die Bauteilefrage dominiert, die zahlreich ohne Gegenleistung durch BRD-Funkamateure bereitgestellt wurden.(62) Dies war eine klare Abkehr der bisherigen Auffassung, die von einer generellen Beeinflussung durch die Bundesrepublik ausging und dies durch den Versand der Bauteile bestätigt sah. Noch einmal wurde hervorgehoben:

„Die operativen Ergebnisse begründen eindeutig, dass Funkamateure nicht in feindlich-negative Handlungen einbezogen wurden, weil sie Funkamateure sind, sondern wegen ihrer bedeutsamen gesellschaftlichen/beruflichen Funktionen, Tätigkeits- und Wohnbereiche, Persönlichkeitsmerkmale, Beziehungen zu bedeutsamen Objekten etc.“(63)

Die Schlussfolgerung daraus war, das Zulassungsverfahren zu modifizieren, so dass das MfS in keinem Falle mehr vor vollendete Tatsachen durch GST und Post gestellt werden sollte. Dies bedeute: Keine Lizenz ohne MfS-Zustimmung. Offensichtlich hatten die Sicherheitsüberprüfungen häufig nur „allgemeinen Charakter“ und erfolgten nur über die Dienstellen des MfS im Bezirk, ohne Informationen anderer Stellen einzufordern.
Gleichzeitig waren fehlende Informationen die Ursache für eine schleppende Bearbeitung, was wiederum mit den vorgeschriebenen Bearbeitungsfristen für Anträge kollidierte. Er forderte eine differenzierte Betrachtungsweise bei der zu beurteilenden Person, insbesondere was ihr Alter beträfe. Jugendliche sollten daher anders als Erwachsene beurteilt und beide nach ihrer Funktion im Amateurfunk eingeschätzt wer- den. An Einzelgenehmigungsinhaber jedoch wurden in den achtziger Jahren strenge Regeln angelegt, die allgemein in der MfS-Richtlinie 1/82 vom 17. November 1982 festgelegt wurden. Die Funkkontrolle sei zukünftig

„zunehmend mit aller Konsequenz auf den operativen Arbeitsgegenstand, den Schwerpunktbereichen/Schwerpunkten und den zu präzisierenden Ziel- und Aufgabenstellungen auszurichten“(64)

und die in der Vergangenheit sich immer stärker dezentralisierende Bearbeitung des Amateurfunks wieder durch die Hauptabteilung in Berlin zentralisiert zu steuern. Die HA III/10 solle die Schwerpunkte festlegen.(65) Bis Anfang 1989 ist es dann tatsächlich teilweise zu einem „abgestimmt handelnden Kontrollsystem“ in einigen Bereichen des Funkwesens gekommen. Für den Amateurfunk wurde allerdings zum ersten Mal kein Bedarf gesehen. Es wurde weiterhin keine „aktive geheimdienstliche Betätigung oder Zielstellung“ festgestellt. Das gleiche galt für „subversive Machenschaften“ feindlicher Geheimdienste: Der Amateurfunk wurde hier nicht zur Übermittlung von Nachrichten genutzt. 1988 waren 3500 Informationen durch die Ätherkontrolle gewonnen worden, die dann in die Speichersysteme des MfS eingearbeitet wurden, wie Oberstleutnant Reiher als damaliger Leiter der Abt. 10 der HA III im Jahresbericht festhielt. Dies waren hauptsächlich Informationen zu Personen und Hinweise zu organisatorischen und insbesondere technischen Trends im Amateurfunk, die zumeist aus dem „Operationsgebiet“, also der Bundesrepublik, aus der Luft gefischt wurden. Mit Verzögerung wurde die Einführung auch in der DDR erwartet, weshalb das MfS schon im Vorfeld Sicherheitsbestimmungen ableiten wollte.(66) Aus der Not wurde also hier eine Tugend. Das „Vorausschauende“ der geheimdienstlichen Tätigkeit war auf dem technischen Sektor ein Reagieren auf Trends, die man nicht beeinflussen konnte, deren Entwicklung in der DDR jedoch mit konspirativen Mitteln überwacht wurden. Dadurch wurde die technische Entwicklung sogar noch weiter behindert, wie schon zuvor im Zusammenhang mit der Einführung einer neuen Betriebsart im Amateurfunk und den hierfür nötigen Abstimmungsprozeß innerhalb der Staatsorgane dargestellt wurde. Im Bereich Amateurfunk bzw. Nachrichtensport wurden unabhängig von den offiziellen Verbindungsoffizieren zur Abteilung Nachrichten der GST zusätzlich Mitarbeiter der Bezirksebene als IM geworben, was die verstärkte Konzentration des MfS auf das Auswahlverfahren von Funkamateuren bestätigt. In Dresden beispielsweise wurde bis Ende der achtziger Jahre durch sog. „FIM-Gruppen“ (Führungs-IM) die GST im Bezirk kontrolliert und der Amateurfunk geheimdienstlich überwacht. Der Leiter der IM-Gruppe war ein hauptamtlicher Mitarbeiter des GST-BV. Diese Gruppe unter dem Decknamen „Hans-Werner Kögler“ wurde im April 1989 aufgelöst und der Leiter als IMS (Sicherheit) weitergeführt, auch weil zum damaligen Zeitpunkt der Posten eines Sekretärs der Sektion Nachrichtensport nicht besetzt war. Eine weitere FIM-Gruppe hieß „Rudolf“ und hatte sich um die Funkkontrolle zu bemühen. Sie wurden ebenfalls im April 1989 durch einen weiteren IMS mit Decknamen „Klaus Sommer“ aufgestockt. IM der Sicherheit „Manja Schröder“ war ebenfalls in die Funkkontrolle eingebunden, sollte aber zusätzlich „als Vertreter der GST gemeinsam mit dem Vertreter der Abt. Funkwesen die Kontrolle der Klubstationen, deren Bestand und Ausrüstung“ beobachten. Weitere IMS und „einfache“ IM waren zudem „im Aufbau“.67 Damit war der Bezirksvorstand der GST ein Knotenpunkt der MfS-Überwachung. Jegliche Entscheidung auf Bezirksebene der GST war m. E. nicht möglich, ohne dass das MfS zuvor oder danach eingebunden gewesen war. Gemessen an den eigenen Ambitionen erscheint allerdings die MfSinterne Feststellung des Jahres 1989 nahezu peinlich, dass die vielen Funküberwacher all die Jahre zuvor ausschließlich Notizen zu Amateurfunkgesprächen in deutscher Sprache machten. Es konnten tatsächlich wegen der „bestehenden Sprachbarriere“ keine weiteren Gespräche aus den sozialistischen Bruderländern in das nichtsozialistische Ausland inhaltlich nachvollzogen werden, wenn diese in fremder Sprache erfolgten. Das „Ausland“ beschränkte sich daher im überlieferten Memo nur auf die Bundesrepublik und West-Berlin. Offensichtlich interessierte sich das MfS der HA III mit immerhin 23 Mitarbeitern zur politisch-operativen Sicherung und seine Linien in den Bezirken in der gesamten Zeit nicht für den sonstigen weltweiten Kontakt, den die DDR-Funkamateure tätigten. Das MfS, so kann man in rückblickender Betrachtung festhalten, versank in einer Informationsflut, die ihm durch die zahlreichen IM unter den Amateuren zugetragen wurde. Das was es suchte, fand es in der Unmenge der durch Informelle Mitarbeiter angetragenen Informationen nur sehr vereinzelt. So befand sich das Ministerium für Staatssicherheit Zeit seines Bestehens auf dem Amateurfunksektor ebenfalls auf einer hauptsächlich ideologisch präfigurierten Suche zur Bestätigung des durch die SED vorgegeben Feindbildes.
Das MfS überwachte einen in offener Sprache geführten Funkdienst mit geheimdienstlichen Mitteln, um nach Informationen zum Beweis der eigenen Postulate zu suchen. Die wenigen Ergebnisse im Bereich des Amateurfunks standen in keinerlei Relation zum personellen, materiellen und finanziellen Aufwand. Mitte der siebziger Jahre bekam der Amateurfunk zwar durch die Internationalisierung der DDR und möglicherweise in Teilen durch die zahlreichen Informellen Mitarbeiter unter den Funkamateuren eine Daseinsberechtigung. Eine Reduzierung der Maßnahmen jedoch wurde explizit erst kurz vor Ende der DDR erwogen, ohne jedoch die Sicherheitsbestimmungen für den Amateurfunk zu lockern.


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