Amateurfunk-Geschichte Deutschland, Folgen 39-41


Exkursion "Wir sind wieder wer - Oder: Knocke und die Zentralisierung"

Walter Vedder, Dl9PF, glossiert

Exkursion 'Wir sind wieder wer - Oder: Knocke und die Zentralisierung'zoomWir sind wieder wer!
Oder: Knocke und die Zentralisierung


Motto: Die Clubversammlung beschloss am 1. Juni in Heilbronn
die Schaffung einer DARC-Hauptverwaltung.


Knocke parkt. Unter dem Schild „Nur für DARC- Sektion 3 (Mitglieder)“. Der alte Parkwächter kommt ihm irgendwie bekannt vor. Stellt sich vor: „ Körner, 1 CU. Seit die neue Zentralverwaltung ihre eigene Hausdruckerei hat, mach ich das hier.“ Knocke - übrigens aus Saarbrücken, aber sonst ungefährlich – zahlt etwas mehr als verlangt wird. Felix zieht dankend die Mütze. Durch den wundervoll angelegten Park, vorbei an einer futuristischen Plastik, geht Knocke auf das große Gebäude aus Glas und Aluminium zu. An der Frontseite eine zartblaue Leuchtreklame AMATEURFUNK – DIE RIESENFREIZEITKRAFT. Die große Tür öffnet sich automatisch. In der Halle ist es angenehm kühl, Honeywell-Klimaanlage! Möbel von Sörensen International. „Anmeldung“ hinter Glas. „Ihr Name, Call, Diplome; Verhältnisse, wen wünschen Sie zu sprechen, warum und wie lange?“ Knocke, brav: „Knocke, Ehrenfried, DL1BY, 43, Konditor; DLD 100, WXBR, WABI, 0-16 und WADM, Besitzer einer F-line sowie einer W3DZZ(gebraucht), verheiratet, 2 Kinder, Reiheneckhaus, VW (grün). Ich hätte gerne den Geschäftsführer gesprochen.“ Oben auf dem Anmeldeformular steht groß „DARC Gmbh & Co. KG“, darunter sein Name, Ankunftszeit. „Den Schein lassen Sie vor dem Verlassen abzeichnen. Die Herren sind übrigens noch beschäftigt. Sie können inzwischen in den Gedenkhalle gehen. Ihre Nummer wird dann aufgerufen.“
In der Gedenkhalle leise Musik. Indirekte, dezente Beleuchtung. Ein Springbrunnen plätschert. Raritäten in Glasvitrinen. Knocke bestaunt: Die QSL, auf der Ingelore; DL1OV, ihre Verlobung mit VS6EC, bekannt gab. Die Vorkriegs – Telefunkentaste, mit der Rudi, DL7AA, mehrere 5-Band-DXCCs machte. Den 1-Röhren-Hartley (Rolf-Wigand-Nachbau) mit verbesserter g 1-Modulation von DL6KS. Die Chaiselongue, auf der DL3LL jahrelang in DX-Lauerstellung gelegen hat. Den alten Persilkarton, in dem Harry, DL7AH, seine Logbücher mit 51 500 QSOs über EP, 9Q5, 7X nach W4 und zurück nach D schleppte. Das verschmorte Ende der 160-m-Antenne von DL1FF. Den Kugelschreiber, mit dem Lothar, DJ1BZ, seinen Austritt aus dem DARC erklärte. Die vergammelte Zündkerze, mit der PX1PF zwei Stunden lang vergeblich versuchte, seinem Generator neues Leben zu einzuhauchen. Den Lieferschein der Firme Blank & Co. über 3 kg Silberputzmittel an DJ6QT sowie schließlich die Liste der Ds, die am 17. September 1968 auf 3799 in SSB EP“BQ allesamt 59 gaben und ihr QTH buchstabieren (I spell for you). Und über allem rotiert leise an der Decke ein DL1FK- Beam mit der Seriennummer 3.
Die Musik unterbricht. „Besucher 2528 auf Zimmer 754c.“ Der lift schwingt Knocke weich und geräuschlos aufwärts: 1.Stock „Archiv, Lehrsäle“, 2.Stock „Büro M5 (kein Halt)“, 3.Stock „YL Angelegenheiten, Kantine“, 4.Stock „QSL- Büro“, 5.Stock „Funkleitstelle“, 6.Stock „Sitzungssäle“, 7.Stock „Geschäftsleitung“. Ein melodisches Glockenzeichen: Knocke ist oben.
Auf 754c empfängt ihn eine kesse Blondine mit perfekten Formen im feuerroten Minikleid. „Das ist aber nett von Ihnen Herr Knocke, dass Sie uns besuchen. Wir legen ja so großen Wert auf direkten Kontakt zu unseren Mitgliedern.“ Knocke blinzelt. Zähne haben die hier! YL ist ja gar kein Ausdruck dafür. Die Traumfrau öffnet eine schwer gepolsterte Tür mit der Aufschrift: Hans Hansen, Geschäftsführender Direktor. Auf tiefem Teppich betritt Knocke ein mit erlesenem Gelsenkirchener Barock eingerichtetes Chefzimmer. An der Wand Rudi Rapcke in Öl. Der Herr Direktor gaumeliert sportlich schlank. Etwas blass. In tadellosem englischen Dunkelblau. Nobel, findet Knocke. Die scheinen’s ja zu haben. Händedruck. „Na, was haben Sie denn auf dem Herzen, mein Bester?“ Knocke verschluckt gerade noch rechtzeitig das „lieber OM“ und sagt: „Ach Herr Direktor, ich wollte mir das hier eigentlich nur mal ansehen nach der Zentralisierung und dann auch noch wegen der neuen Mitgliedsausweiße fragen. Warum haben die denn plötzlich so viele Löcher?“ „Ach so, ja - die neuen Mitgliedsausweise, ja wissen Sie mein Lieber, tempi passati, die Zeiten ändern sich. Nach Aufnahme des 100 000stens Mitglieds haben wir die Übersicht verloren und sind auf Datenverarbeitung übergegangen. Ihr Ausweis ist gleichzeitig eine Lochkarte, mit der unser Computer bedient und abgefragt wird. Am besten, Sie sehen sich das gleich mal an. Hier links, drei Zimmer weiter steht die IBM 6014. der Leitende Ingenieur wird Ihnen alles erklären.“
Knocke dankt und wird von der kessen Blondine zurückbefördert. Dabei blinzelt der Direktor ihr verstohlen zu. Hat er was mit ihr? Zuzutrauen wär’s ihm, denkt Knocke. Man hört ja neuerdings so viel von Herren mit grauen Schläfen und blutjungen Dingern. Stand da nicht auf dem Parkplatz nebenan (Selektion 4 – nur für Direktion) ein rassiges italienisches Cabriolet? Jetzt will Knocke es aber wissen: „Sagen Sie mal, schönes Kind, wie wär’s mit uns beiden heute Abend auf 80?“ „Aber Herr Knocke, was meinen Sie denn damit? Ist das vielleicht etwas Unanständiges? Ich bin nämlich verlobt und Sie sind verheiratet, wie ich Ihrer Anmeldung entnehme.“ Knocke errötet und verschwindet geräuschlos in Richtung Computer.
Das Türschild: Kluge DJ1BQ, Leitender Ingenieur. Der empfängt ihn ziemlich finster. „Ich soll mich ein wenig umschauen, hat der Herr Direktor…“ „geben Sie mal Ihren Ausweis her, dann werden wir gleich sehen, wen wir da vor uns haben“, unterbricht ihn der L.I. und schiebt Knockes Lochkarte in den Feder der IBM. Leises Surren. Ein beschriftetes Blatt rutscht heraus. Der L.I. liest laut: „Sie sind also Ehrenfried Knocke. Schon lange im DARC. Aber Alter schützt vor Torheit nicht. Hat ein deutscher Dichter gesagt. Sie haben subversive Artikel im DL-QTC geschrieben. Naja, damals ging das ja noch. Freie Pressefreiheit und so. Einen el-Bug zollfrei eingeführt? Mobil gearbeitet und dem zuständigen OVV die QSL- Karte nicht zum Abstempeln vorgelegt. Das war 1963. Hier kommt alles ans Tageslicht, Knocke, hier verjährt nichts. Zweimal vom OVV wegen QRO verwarnt. Gus auf seiner eigenen Frequenz gerufen. Ohne Voranmeldung an einer Fuchsjagd teilgenommen. Sie sind mir vielleicht einer! Und als letztes noch eine alte Sünde: Am 12. Januar 1950 auf 2m die Bandgrenze überschritten. Pendler, was? Nun noch die Addition – 37 Punkte auf Ihrem Konto. Da seh’ ich aber schwarz für Ihre Zukunft Knocke.“
Knocke wankt – wie komm ich hier bloß wieder raus. Mit 37 Punkten sozusagen halb im Gefängnis. Soll ich die Funkerei nicht besser aufgeben? Na sowas, wie der DARC sich verändert hat! Ich schleich mich lieber. Jetzt muss aber erst mal ein kühles helles her auf dem Schrecken. Wo war doch die Kantine? 3. Stock, abwärts. In der Kantine reges treiben. Selbstbedienung. An der Kasse eine türkische Gastgeberin. Knocke schnappt sich ein Tablett und haut rauf, was geht, zum Schluss ein Bier. Beim Bezahlen guckt die Türkin so komisch. Ob die schon was von seinen Punkten weiß? Ihm fällt ein, dass er ja noch die QSLs abliefern muss, die er aus Saarbrücken mitgebracht hat. Also wieder rauf in den Vierten.
QSL- Büro. Erste Türe: Vorzimmer, Franziska Kartenschnell. Zweite Türe: Heinz Pankow, Sachgebietsleiter. Dritte Türe: Maschinensaal, Eintritt verboten. Fräulein Kartenschnells Büro ganz in Orange. Zimmerpflanzen am Fenster. Abreißkalender „75 Jahre Amateurfunk“. Sie selbst an einem Steuerpult. Drückt gerade die Taste „Sack 53 – Middle East“. Lampen leuchten auf. Ein Hupsignal ertönt. „Hat doch schon wieder einer das Call nicht auf die Rückseite rechts oben geschrieben.“ Sack 53 zurück zur Vorkontrolle. „Was wünschen Sie, junger Mann. Habe keine Zeit.“ Knocke etwas verdattert: „Gestatten Sie, Verzeihung, ich hätte da vielleicht…“ „Haben Sie eine lange Leitung – rein zum Chef, aber fassen Sie sich kurz.“ Knocke macht versehentlich einen Diener und geht auf Zehenspitzen eine Tür weiter.
Hinter einem sehr aufgeräumten Schreibtisch: der legendäre Heinz Pankow. Knocke hat schon viel über diesem bedeutenden Denker gehört. Aber kaum einer hat ihn je gesehen. Er bemerkt den Besucher nicht. Sein Kopf ist in die linke Hand gestützt. Völlig in Gedanken versunken. Er murmelt „Etatkürzung und immer noch mehr Säcke…Wo soll das nur hinführen…schon die vierte Wuppertaler Maschine und kein Ende abzusehen…vielleicht doch am besten Klebemarken…2 Pfennig pro QSL…“ Knocke räuspert sich vernehmlich. „Hätte bitte ein paar QSL- Karten abzugeben.“ Pankow stöhnt auf. „ Schon wieder einer. Na, kommen Sie. Ich werde ihnen zeigen, wie die Wirklichkeit aussieht.“ Im Maschinensaal reißt Knocke die Augen auf: Zwei riesige Maschinen schlucken Laufend prallgefüllte Säcke, die auf Förderbändern anrollen. Hinten werden fertig verpackte neue Säcke ausgespuckt und verschwinden im Unbekannten. Ab und zu fällt seitlich aus einer Maschine eine Karte in einen Korb mit der Aufschrift „Irrläufer“. An einer weiteren Maschine, die offenbar still steht, hantieren einige Mechaniker herum, stöpseln und löten, leise fluchend. „Was machen die denn da?“, fragt Knocke. „Neue Adressen, neue Adressen. Immer wieder ziehen die Kerle um. Man sollte das glatt verbieten. Unsere Maschinen geraten dauernd ins Stocken. Die Kapazität ist längst überschritten seit Einführung der Volkslizenz. Was soll ich machen? Keiner genehmigt mir eine neue Maschine. Der Neubau hat ja das ganze Geld verschlungen. Nur noch Schulden! Der Amateurrat ist taub und zum Aufsichtsrat habe ich nicht die richtigen Beziehungen. Ich werd’ noch verrückt.“ Knocke könnte mit seinem OVV darüber sprechen. Das sei ein ganz vernünftiger Mensch, Geflügelzüchter und Federn en gros. „Sie sind aber wirklich naiv, lieber Knocke. Wir schreiben doch nicht mehr das Jahr 1969.“
Was soll man dazu sagen? Das wird ihm ja kein Mensch glauben, wenn er das in Saarbrücken erzählt. Wo war doch gleich der Ausgang? Halt erst noch den Anmeldeschein abzeichnen lassen und dann nichts wie weg, heim zu Weib, Kindern und der geliebten F-line. Also noch mal rauf zu der kessen Blonden. Die kocht gerade Kaffee. „Knocke, haben Sie ein Glück. Gleich ist die AR- Sitzung zu Ende. Vielleicht erwischen Sie den Generaldirektor und können ihm Ihr Anliegen persönlich vortragen.“ „Aber ich habe doch gar kein Anliegen“, meint Knocke. „Ach was, jeder will doch mal den General sehen. Los Knocke, Sitzungssaal 4b, einen Stock tiefer.“ Die Tür zum Sitzungssaal ist einen Spalt offen. Knocke hört eine gewichtige Stimme, die gerade eine rede miet den Worten beendet: „Wir sind schließlich wieder wer!“
Beifall rauschte auf. Knocke ist ganz hingerissen. Fühlt sich emporgehoben. Jawohl, das war’s. Wir sind wieder wer! Zum Teufel mit dem kleinen Amateurclub von Annodunnemals. Ordnung muss sein. Eine Lobby in Bonn müsste auch her. Mit einem Man aus dem praktischen Leben an der Spitze. Aus der Wirtschaft, versteht sich. Zum Beispiel so was wie er, Knocke, selbständiger Kuchenladen. Mittelstand! Die Türe öffnet sich und der Präsident, gefolgt vom Generaldirektor, dessen Sekretär und dem Amateurrat, tritt hinaus. Während der Präsident glatt an knocke vorbei sieht fragt der Generaldirektor jovial: „Na, wo drückt denn der Schuh?“ „Ach, ich wollt man bloß reinschauen. In unserem OV reden sie jetzt immer so komische Sachen über die Zentralisierung, und da wollt ich doch mal sehen, ob das den auch alles seine Richtigkeit hat.“ „Sehr brav, Knocke, und wie ist ihr Eindruck?“ „Grandios, Herr Generaldirektor. Man fühlt sich ja ganz anders. Nur – gibt’s denn hier keine Station? Ich hätte eigentlich ganz gerne ein QSO gefahren. Nichts Besonderes. Vielleicht ein bisschen YO oder PA0.“ „Stationen gibt’s schon, einen Stock tiefer. Aber QSOs werden da nicht gefahren. Wir haben den guten, alten Betriebsrat wieder eingeführt mit ZAP. Schon was davon gehört, Knocke?“ „Nee, keine Ahnung.“ Der Generaldirektor, leicht konsterniert, zu seinem Sekretär: „Bereiten Sie doch gleich einen Erlass vor. Schließlich genügt es nicht, verwaltungsmäßig alle zu erfassen und zu durchleuchten. Auch dieser wilde Funkbetrieb – jeder mit jedem – muss aufhören. Disziplin, das ist es, was wir brauchen. Wir sind schließlich wer!“
Knocke duckt sich. Das scheint ihm doch nicht ganz das Richtige zu sein. Was wollte er nur noch? Da hatte doch im Fahrstuhl so was wie Büro M5 und „kein Halt“ gestanden. Vielleicht weiß die Blonde etwas darüber. Als Knocke wieder Zimmer 754c betritt, setzt Blondinchen gerade eine Flasche ab. Sie schaut einigermaßen glasig. „Hallo, Knockehoney. Wie war’s denn mit unserem Big Boss?“ Was heißt hier Knockehoney? Ich denke, sie ist verlobt. Knocke gibt sich einen Ruck. „Prima, Blondie, Süße. Der Boss war Klasse. Aber bevor ich gehe: Was ist eigentlich M5?“ Blondie erbleicht. „Knocke, Sie haben nichts gefragt und ich habe nichts gesagt, verstanden? Woher, glauben Sie, kommen wohl die ganzen Informationen, die der Computer über jeden ausspuckt? Unsere Zentrale hat ihre Ohren und Augen überall. Nichts bleibt uns verborgen. M5 sammelt das, aber wie gesagt, Sie haben nichts davon gehört. So, und nun ist Feierabend. Man darf wieder ans Privatleben denken. Wie war das noch mal mit heute Abend, was Sie da vorhin gesagt haben? Übrigens – ich heiße Gerda. Gefällt Ihnen das, Knöckchen?“ Knocke weiß nicht, wie ihm geschieht. Fühlt sich an wie Hamlet. Soll er oder soll er nicht!
Da trifft ihn ein fürchterlicher Schlag auf den Hinterkopf – er wacht auf. Der Wecker rasselt. Knocke liegt schweißgebadet vor seinem Bett. Auf dem Hinterkopf. Als er langsam zu sich kommt, begreift er: Es war nur ein Traum. Aber was für einer! Warum bloß der Wecker mitten in der Nacht rasselt? Ach ja, Nachteulenrunde auf 80. Mann, Knocke, nimm dich zusammen. Sonst erzählst du von deinem Traum. Felix als Parkwächter! Wenn der das wüsste. Los, schnell unter die Dusche. Badedas. Prima Erfrischung. Überhaupt, er, Knocke, seine Familie, seine F-line, sein Haus. Das Rosenbeet. Toll! Und das Bad. Alles in Türkis. Chic – wie war das doch gleich wieder? Wir sind wieder wer!


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