Exkurs: Griechenlands Schicksalsjahre

1942
In Nordafrika hatte sich General Rommel bis auf hundert Meilen Kairo genähert, aber seine Versorgungslinien hatten sich in die Länge gezogen. Eine der wichtigsten war die Bahnlinie durch Griechenland, sodass die britische Strategie auf eine Unterbrechung derselben zielte. Die Special Operations Executive – SOE in London entsandte unter dem Kommando von Brigadier Eddie Myers und Major Chris Woodhouse zwei kleine Gruppen von Saboteuren, insgesamt ungefähr ein Dutzend Männer. Ihre Aufgabe war, die verschiedenen Banden der Andarten (Andartis, pl. Andarten = Partisan, Widerstandskämpfer, Anm.d.Ü.) zu koordinieren, die sich in den Bergen formiert hatten. Unglücklicher Weise waren die britischen Offiziere nichts über die Rivalitäten der verschiedenen Gruppen informiert, wahrscheinlich weil das Hauptquartier in Kairo selbst die Situation nicht kannte. Doch blieb dies Myers und Woodhouse nicht lang verborgen. Die größte Gruppierung, die „Volksbefreiungsarmee“ -Ethnikós Laikós Apelevtherotikós Stratós - ELAS unter Aris Velouhiotis, operierte mit ungefähr 120 schlecht ausgerüsteten Männern im Pindus-Gebirge. Eine andere Gruppe von circa 60 Männern hatte sich um einen regulären Offizier der griechischen Armee geschart, um Oberst Napoleon Zervas , und bezeichneten sich als „Nationale Republikanische Griechische Liga“ Ethnikos Dimokratikos Ellinikos Syndesmos – EDES
(Ich traf Zervas persönlich Jahre später, als er Innenminister und somit für die Polizei verantwortlich war. Ich war damals Übersetzer für den Stab der britischen Polizeimission in Griechenland. Ich erinnere mich lebhaft, mit welchem Gefallen er dem Oberst Prosser seine Methoden der Folter von ELAS- Gefangenen schilderte, die keinerlei sichtbaren Spuren von Gewaltanwendung hinterließen.)
Während eines geheimen Besuchs in Athen fand der junge Chris Woodhouse die wahre Kommandokette heraus, als er Georg Siantos, dem Sekretär der griechischen Kommunistischen Partei, Kommounistikó Kómma Elládas –KKE, vorgestellt wurde. Die KKE kontrollierte die „Nationale Befreiungsfront“ Ethnikó Apelevtherotikó Métopo - EAM, welche wiederum die ELAS führte. Die Bezeichnung Nationale Befreiungsfront war propagandistisch klug gewählt. Kein Wunder, dass sich die EAM nicht nur bei der Landbevölkerung, sondern auch bei den Intelligenzbürgern Athens weitgehender Hilfe erfreute.
Aber die Aufgabe der SOE-Offiziere wurde aus verschiedenen Gründen sehr erschwert: Winston Churchill hatte den Befehl erlassen, sie sollten nach Möglichkeit nur königstreue Guerilla-Führer unterstützen, aber davon gab es keine oder nur wenige. Die SOE-Einheiten hatten den Befehl, der deutschen Besetzung ein Maximum an Störungen zuzufügen. Und dies war ohne die Hilfe des ELAS, welche von den Kommunisten kontrolliert wurde, nicht möglich. Von Anfang an war den SOE-Offizieren klar, dass militärische und politische Prioritäten auf Konfliktkurs standen.
Die Streitmacht der ELAS wurde täglich stärker und begann bald, griechische Landsleute aus nichtkommunistischen Andarte-Einheiten anzugreifen. Der erfolgreiche Angriff auf die Eisenbahnbrücke über den Gorgopotamos-Fluss, am 26. November, war die erste und letzte Unternehmung, bei der ELAS und EDES unter dem Druck und der technischen Führung der Engländer gegen den gemeinsamen Feind kooperierten.
1943
Der Bruch zwischen EDES und ELAS setzte sich fort. Als Eddie Myers ihnen mitteilte, er habe Befehl, die Brücke über den Asopos zu zerstören, gab ELAS zu bedenken, dies sei ein zu gefährliches Ziel und versagte die Hilfe, so dass diese Operation eine rein britische wurde. Ein 24 Jahre alter Sabotage-Experte der Royal Engineers Captain Ken Scott, wurde aus Kairo entsandt. Er landete mit dem Fallschirm und plante den erfolgreichen Angriff auf die Brücke. Es kostete die Deutschen vier Monate, die Brücke wieder instand zu setzen.
Am 11. September ergaben sich 14.000 Italiener im Nordwesten mit allen ihren Waffen den Andarten. Einen Monat später erhob ELAS die Waffen gegen EDES. Der Bürgerkrieg hatte begonnen.
1944
Das Auseinanderbrechen der verschiedenen Widerstandsgruppen wuchs zu einer Auseinandersetzung aus, die je nach Standpunkt als Bürgerkrieg oder Guerillakrieg bezeichnet wurde. Die ELAS war entschlossen, nach dem Einmarsch der Alliierten dazu die alleinige Kontrolle zu übernehmen. Als Resultat intensiver Verhandlungen seitens der britischen Offiziere unterzeichneten die Andarte-Führer am 29. Februar ein Waffenstillstandsabkommen, in dem sie sich bereit erklärten, einander nicht zu bekriegen und alle Kraft auf den gemeinsamen Feind – die Deutschen – zu konzentrieren. Leider griff die ELAS kaum einen Monat später die kleinste Andarte-Gruppe EKKA an und vernichtete sie. Nun standen nur noch die EDES und die 200 Mann starke SOE den 40.000 ELAS-Kommunisten im Weg, die totale Kontrolle über das griechische Hinterland hzu übernehmen.
Bei der Allgriechischen Konferenz im Libanon, im Mai, bei der alle Parteien einschließlich der Repräsentanten der Andarten anwesend waren, wurde George Papandreou zum Premier Minister der Exilregierung der Nationalen Einheit gewählt. Im September zog die Regierung vorübergehend nach Italien. Im Oktober, nachdem sich die deutschen Truppen aus Athen zurückgezogen hatten, begann von griechischen und britischen Kriegsschiffen aus die Landung britischer Truppen in Griechenland. Das größte Kontingent landete nahe dem Hafen von Piräus. Zehntausende Griechen empfingen die britischen Streitkräfte mit Jubel beim ihrem Einmarsch.
Am 18. Oktober kehrten die Mitglieder der griechischen Regierung unter der Leitung von Premierminister George Papandreou in Begleitung von Generalleutnant Ronald Scobie, dem alliierten Militärgouverneur, nach Athen zurück.
Tragischer Weise marschierte die ELAS im Dezember auf Athen. Die britischen Truppen fanden sich jetzt auf den gleichen Straßen, in denen sie erst vor kurzem gefeiert, bekränzt und willkommen geheißen worden waren, im Kampf. Die SOE hatte Kairo zwei Jahre lang gewarnt, dass dies geschehen könne. Erst nach drei oder vier Wochen intensiver Kämpfe in Athens Straßen und den Vororten zog sich die ELAS zurück.
Am 1. Weihnachtsfeiertag kam Winston Churchill als Vermittler nach Athen. Ein paar Heckenschützen hatten sich in einiger Entfernung von der britischen Botschaft in einer Schule versteckt. Als Churchill aus dem gepanzerten Wagen stieg, der ihn vom Flughafen gebracht hatte, gaben sie einige ungezielte Schüsse auf ihn ab. Anderentags betrat bei einer Zusammenkunft aller Parteien der Vertreter der ELAS in einer Art militärischen Uniform den Raum, mit gekreuzten Patronengurten vor der Brust und zwei Pistolen. Churchill wandte sich an seinen Dolmetscher und sagte ruhig: „Sagen Sie ihm, er soll sein Spielzeug draußen lassen, oder ich fliege sofort nach London zurück und feiere in Ruhe mit meiner Familie Weihnachten.“
1945
Am 1. Januar übernahm Erzbischof Damaskinos das Amt des Regenten (es war vereinbart worden, dass der König nicht nach Griechenland zurückkehren solle, ehe seine Position durch ein Plebiszit geklärt sei). Plastiras löste Papandreou als Premierminister ab. Nach dem Varkiza-Abkommen war der Guerilla/Bürgerkrieg offiziell zu Ende.
Jahre später fasste Chris Woodhouse in einer Radiosendung die Ergebnisse der SOE-Mission so zusammen:
1. Sie hatte das technische Knowhow geliefert - so etwa den Umgang mit Sprengkörpern - ohne das die größten Sabotageerfolge unmöglich gewesen wären.
2. Sie hatte die taktische Planung geleistet und die Kommunikation geliefert, die den Griechen den nötigen Mut gab, den strategischen Erfordernissen der alliierten Befehlshaber nachzukommen.
3. Der wichtigste Punkt war aber, dass sie während des gesamten Zeitraums garantierte, dass bis zum Tag der Befreiung keine bewaffnete Gruppierung im besetzten Griechenland ein Monopol der Macht aufbauen konnte. Das Endziel der Mission war, den Griechen am Kriegsende die freie Wahl zu überlassen – der Wahl zwischen einer Monarchie, einer Republik, oder, falls sie es wünschten, einem kommunistischen Regime.
1946
Auf ein Plebiszit hin kehrte König Georg II Ende September nach Griechenland zurück und bestimmte Panayis Tsaldaris zum Premierminister.


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